Analyse/Hintergrund von Rudi Kulzer
Nach Berichten aus der US-Presse könnte IBM eine Kartellklage drohen. Deutsche Medien haben das Thema entsprechend übernommen. Dabei geht es um IBMs Vorherrschaft bei Großrechnern vom Typ „Mainframe“, einem Bereich, der als Saurier der IT-Steinzeit immer wieder tot gesagt wurde und offensichtlich doch im Kampf um die Rechenzentren der Zukunft nach wie vor eine wichtige Rolle in der elektronischen Datenverarbeitung spielt.
Die Nachricht: Die Kartellwächter des US-amerikanischen Justizministeriums haben eine Untersuchung zur Stellung des IT-Konzerns IBM auf dem Markt für Großrechner eingeleitet, berichtet der online-Dienst Heise und beruft sich dabei auf Artikel in den US-Medien. In der Tat haben sich sowohl die New York Times wie auch das Wall Street Journal in größeren Artikeln ausführlich mit diesem Thema auseinander gesetzt.
Dort war zu lesen, dass dem US-Justizministerium eine Beschwerde des Branchenverbands Computer and Communications Industry Association (CCIA]) vorliege, laut der IBM die Konkurrenz behindert und sich geweigert habe, seine Technik an Mitbewerber und potenzielle Partnerunternehmen zu lizenzieren. Nun sucht das Justizministerium Informationen zu den Geschäftspraktiken des IT-Konzerns.
Realistisch betrachtet hat die IBM schon seit Jahren praktisch keine direkten Konkurrenten beim Einsatz seiner aus den 60er Jahren stammenden und seither systematisch weiter entwickelten Mainframe-Architektur.
Der bekannteste Herausforderer war in den 70er Jahren der aus Norwegen stammende Gene Amdahl, der als ehemaliger IBM-Mitarbeiter maßgeblich an IBM-Großrechnern beteiligt war. Mit der Unterstützung des japanischen Konzerns Fujitsu gründete er die Amdahl Corporation in Sunnyvale in Kalifornien und stieg in den Großrechner-Markt ein. 1975 lieferte er seine erste Maschine aus. Damit konnten System/360-Applikationen ohne IBM-Hardware ausgeführt werden.
Die Amdahl-Maschinen bildeten auch die Grundlage für die Mainframe-Rechner von Fujitsu-Siemens, die unter dem Betriebssystem BS2000 laufen und beispielsweise von der Deutschen Rentenversicherung eingesetzt werden. Seit der Trennung von Siemens und Fujitsu und dem damit verbundenen Ausstieg von Siemens aus dem IT-Geschäft steht hier ein großes Fragezeichen im Raum. Hitachi hat sich 2001 aus der Mainframe-Welt verabschiedet. Systeme zur Verwaltung von IBM-Mainframes kommen auch von Drittanbietern wie BMC Software mit Sitz in Houston, Texas und Computer Associates aus .Islandia, New York.
Als weitere Maschine der Mainframe-Klasse muss noch das ehemalige Himalaya-System von Tandem erwähnt werden, das nach der Übernahme von Compaq und später Hewlett-Packard heute als NonStop Integrity Server (NonStop OS) unter dem Dach von HP trotz seiner starken Leistung für bestimmte Anwendungen ein eher bescheidenes Dasein fristet. Das System arbeitet ähnlich wie IBM’s Mainframe mit eigener Betriebssystem- und Datenbank Software.
In jüngster Zeit haben einige kleinere Unternehmen im Zusammenhang mit Mainframe-Anwendungen von sich Reden gemacht. So hat 2007 die EU-Wettbewerbsaufsicht das Großrechnergeschäft der IBM untersucht, nachdem die von ehemaligen Amdahl-Mitarbeitern gegründete Startup-Firma Platform Solutions (PSI) eine Beschwerde eingereicht hatte. Die Untersuchung endete allerdings ergebnislos. Im Juli 2008 übernahm IBM das Unternehmen PSI.
Ebenfalls 2007 tauchten in diesem Zusammenhang zwei weitere kleinere Unternehmen in der Fachpresse auf. So wollte IBM Lizenzen für ein in Arbuckle, Kalifornien, angesiedeltes Unternehmen Fundamental Software Inc. nicht erneuern, das Mainframe Emulation Software herstellt. Gleiches galt für die Firma QSGI, einem Spezialist für generalüberholte, gebrauchte Mainframe Rechner (refurbished) aus Bloomington, Minnesota.
Im Januar dieses Jahres reichte die Firma T3 Technologies, ein Mainframe Reseller (1992-2002) aus Tampa, Florida bei der EU-Kommission eine Beschwerde über IBM ein und klagte in den USA vor einem Zivilgericht in New York, das jedoch die Klage vorige Woche abwies.
Die Begründung: IBM habe sehr viel Geld in die moderne Großrechnertechnik investiert. Die Technik nicht zu lizenzieren, sei kein Vergehen gegen das Wettbewerbsrecht. T3 will dagegen in Berufung gehen, schreibt die New York Times. Das Unternehmen habe nun eine Aufforderung des Justizministeriums erhalten, Informationen zu IBMs Marktverhalten herauszugeben.
Auf Anfrage von ZDnet erläuterte IBM-Manager Roland Trauner technisch und wettbewerbsrechtlich die Situation: Technisch arbeiten die genannten Anbieter mit einer Emulation des von der IBM entwickelten Mainframe-Betriebssystems zOS auf Intelprozessoren. Dazu brauchen sie eine Lizenz der IBM. Diese hatte T3 zwar für Maschinen, die von Entwicklern eingesetzt wurden, erhalten, nicht aber für den Einsatz von Anwendungen bei Endkunden, etwa bei Banken. Umgekehrt kann IBM weder Solaris noch Windows auf der Mainframe-Architektur laufen lassen. Zusätzliche Anwendungen auf IBM Big Irons laufen unter Linux.
Angesichts dieser anscheinend wieder entflammten Wettbewerbsfront am totgesagten Mainframe-Markt muss man sich fragen, warum dieser immer noch attraktiv zu sein scheint? Nach Angaben der Marktforscher von IDC ist der Umsatz mit Mainframes immer noch für einen Marktanteil von 9,9 % des 2008 doch 53 Milliarden Dollar großen Server Marktes gut, schreibt das Wall Street Journal. Und das ist nur die Hardware, die „Big Irons“ (große Eisen) wie sie in der Branche spöttisch bewundernd genannt werden. Ein weiteres erhebliches Umsatzpotential steckt in Software und Services.
Viel wichtiger scheint die Tatsache zu sein, dass unzählige Anwendungen unseres Alltags auf die Mainframe-Architektur zurückgreifen. Vor allem im Banken- und Versicherungswesen sind die auf Transaktionen und Stapelverarbeitung spezialisierten Big Irons nicht weg zu denken. Scheckeinreichungen oder Überweisungen (Stapel), Abhebungen am Bankautomaten oder Kartenbezahlungen (Echtzeit Transaktionen) laufen über Mainframe-Systeme.
Leider wird Mainframe häufig als Synonym für Großrechner im Allgemeinen genutzt, wie auch im deutschen Wikipedia-Artikel zu lesen ist. Das ist falsch. Es gibt mehrere Großrechnertypen. So sind im Gegensatz zu sogenannten Supercomputern – früher Number Cruncher, heute HPC (High Performance Computer) genannt, die auf hohe Rechenleistungen (computing) hin entwickelt werden, Mainframes als General Purpose Maschinen (Generelle Anwendungen) auf Zuverlässigkeit und hohen Datendurchsatz ausgelegt. Die typischen Anwendungen eines Mainframes sind wie erwähnt in Banken, Versicherungen, großen Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung zu finden. Dazu kommen noch große Unix Rechner von Herstellern wie beispielsweise Sun Microsystems und HP.
Dieser Server-Markt ist als Basis der Unternehmens-IT schon seit Jahren heftig umkämpft. Dabei konnten für viele Anwendungen Server nach dem sogenannten Industriestandard (Prozessoren von Intel oder AMD, Software von Microsoft oder OpenSource Linux) als preiswerte Lösungen punkten. Dies gilt vor allem für die sogenannten Blade-Server, die auch mit ihren guten „grünen“ Werten der Energieeinsparung im Vergleich zu Serverfarmen in getrennten Gehäusen von sich Reden machten. Doch der „grüne“ Vorteil gilt auch für Mainframes.
Die Herausforderung scheint zu sein, in wie weit die Server des Industriestandards sich auch für die genannten mission-critical Anwendungen der bisherigen Mainframe-Welt einsetzen lassen. Intel und Microsoft sind davon jedenfalls überzeugt und unterstützen daher Firmen wie T3, die für eine Migration unter der Flagge Open Mainframe werben.
Der bekannteste Anbieter für Mainframe-Migration ist das britische Unternehmen Micro Focus. Deren Enterprise Application Modernization Software erlaubt es, „Mainframe- Applikationen mit modernen Technologien und Architekturen wie Java, Linux, .NET oder SOA zu verbinden“. Enterprise-Anwendungen ließen sich so mit weniger Risiko und geringeren Kosten betreiben, so die Werbung. Der Hauptsitz des Unternehmens ist in Newbury, Großbritannien; Niederlassungen bestehen unter anderem in Dortmund und Ismaning bei München.
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